Den folgenden Brief hat das Stadtarchiv Speyer im Juni 2015 erhalten. Er gibt einen guten Einblick in die (auch und vor allem: wirtschaftlichen) Nöte und Sorgen der Zeit unmittelbar nach Kriegsende. Die Firma Wiesinger (Speyer) existiert bis heute als Speditionsfirma in Speyer. Wir danken Herrn Timo Wiesinger für die Überlassung des Briefes seiner Urgroßmutter Anna Wiesinger. Die Veröffentlichung erfolgt mit seiner Genehmigung.
Speyer 1945 - Das Ende und ein Anfang
Speyer am Kriegsende 1945: Anhand einer im Stadtarchiv Speyer vorliegenden Quelle wird ab sofort ein Einblick in die Zeit unmittelbar nach Ende des 2. Weltkriegs in Speyer gegeben: Bericht (März 1945 bis Mitte 1946) von Dr. Richard Mandler (Stadtarchiv Speyer, Bestand 191-2, Nr. 303). Es bloggen für das Stadtarchiv: Ellen Grünenwald/Kim Harmel (03-04, 2014); Michaela Hayer (05-08, 2014); Doreen Kelimes/Christian Hellmann (09-12, 2014); Doreen Kelimes (ab Januar 2015).
Dienstag, 16. Juni 2015
Mittwoch, 10. Juni 2015
"Nach Jahr und Blog" (kleines Resümee aus Sicht der Bloggenden)
Das Resümee wurde im Blog "Archive 2.0" veröffentlicht. Link.
Montag, 8. Juni 2015
Glimpflich davongekommen – Speyer 1945
Anstelle eines Blog-Schlussworts:
Die an diesem Blog beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung Kulturelles Erbe / Stadtarchiv Speyer freuen sich sehr, zum Abschluss als Autor eines Resümees Herrn Dr. Norbert Ohler gewonnen zu haben! Herr Dr. Ohler (Jahrgang 1935) war Autor des Kapitels zur Speyerer Stadtgeschichte im 3. Reich und in der frühen Nachkriegszeit im Rahmen der dreibändigen "Stadtgeschichte".
Glimpflich davongekommen – Speyer 1945
Norbert Ohler
Im Sommer 1945 erlebten die Speyerer, wie gut das
Schicksal es mit ihnen gemeint hatte. Die Wehrmacht war am 24. März abgezogen,
kampflos, anders als befohlen; tags darauf hatten amerikanische Truppen die
Stadt besetzt. Für Speyer war der Krieg beendet. Verglichen mit anderen Orten
waren nur geringe materielle Verluste zu beklagen. In Ostdeutschland, Ost- und
Südosteuropa wurden Tausende entrechtet und verschleppt oder vertrieben; die
Speyerer durften in ihrer Heimat und in ihren Häusern bleiben.
Erleichterung, Brüche und Kontinuitäten
Die Menschen atmeten auf: Endlich kein Gellen der Sirene
mehr, keine Angst vor Gestapo und SS, die bis zuletzt Deutsche und Ausländer
wegen Defätismus, Feigheit, Fluchtversuch, Sabotage, Wehrkraftzersetzung
gehenkt oder erschossen hatten. Vorbei waren auch die Jahre rauschhafter, von
Aufmärschen, Siegesfeiern und Treueschwüren genährter Begeisterung.
Benommenheit mischte sich bei vielen mit dumpfer Furcht: Was würde die Zukunft
bringen?
In der Stadt sah man fast nur Frauen, Kinder und Alte;
die Männer waren gefallen oder vermisst, in Gefangenschaft oder noch unterwegs.
Der seit Beginn des Krieges 1939 spürbare Mangel verstärkte sich, zumal die
Franzosen, die den Amerikanern als Besatzungsmacht gefolgt waren, requirierten,
was sie für sich und ihre Angehörigen brauchten. Die Hakenkreuzfahnen waren aus
dem Stadtbild verschwunden, die NSDAP und ihre Untergliederungen verboten,
'Hoheitsträger' untergetaucht oder interniert.
Der Oberbürgermeister der Jahre 1919 bis 1943, Karl
Leiling, mühte sich, die städtische Verwaltung wieder in Gang zu bringen. Gefragt
waren Phantasie und schier übermenschliche Kräfte. Alte und Junge haben für Nahrung
gesorgt, für Trinkwasser, Strom und was sonst lebensnotwendig war. Nach
Machthabern des unseligen Regimes benannte Straßen wurden zurückbenannt, Panzergräben
und Bombentrichter eingeebnet, herrenlose Munition und 'Blindgänger' von
Spezialisten unschädlich gemacht; trotzdem sind noch Jahrzehnte später Kinder
und Erwachsene nicht aufgespürten Bomben zum Opfer gefallen.
Seit dem Herbst 1945 haben rechtschaffene Frauen und
Männer in Speyer Grundlagen der parlamentarischen Demokratie gelegt; sie haben
politische Parteien, freie Gewerkschaften und eine freie Presse neu oder wieder
begründet.
Vom Umgang mit Schuld
Das Regime hatte große Gruppen des eigenen Volkes
entrechtet und verfolgt. Genannt seien, ohne Anspruch auf Vollständigkeit,
Christen, 'Ernste Bibelforscher', Gewerkschaftler, Homosexuelle, Juden,
Kommunisten, 'Lebensunwerte' (Behinderte), Sozialdemokraten, 'Zigeuner' (Sinti
und Roma). Sofern die Opfer überlebt hatten und heimgekehrt waren, forderten
sie – wie auch die Sieger – eine gründliche politische Säuberung.
Die Aufgabe der Entnazifizierung des Personals der Stadt,
der Schulen und Schulbücher, der Einrichtungen von Wirtschaft und Gesellschaft
ist nur unvollkommen gelöst worden, aber wirksamer, als Selbstgerechte immer
noch lautstark behaupten. 1945/46 zeigte sich, dass viele Speyerer den
Drohungen und Verlockungen der Nationalsozialisten widerstanden hatten; sie
hatten den Verlust des Arbeitsplatzes, der Freiheit und sogar des Lebens in
Kauf genommen.
Andererseits hatten weit mehr Deutsche zu den Tätern
gehört, als man lange Zeit wahrhaben wollte. Wie sollte man die Schuldigen
ermitteln, welche Sühne ihnen auferlegen? Beschuldigte konnten sich in rechtsstaatlichen
Verfahren verteidigen; viele Belastete wurden zu Freiheits- und
Vermögensstrafen verurteilt; bei den ersten Nachkriegswahlen war ihnen das
Stimmrecht entzogen.
Die neugegründete 'Rheinpfalz' informierte seit Ende
September 1945 auch über Verbrechen, die Deutsche von 1933 bis 1945 verübt
hatten; Breite und Tiefe der Berichterstattung erstaunen den heutigen Leser.
Die Speyerer hatten im 'Dritten Reich' kaum Gelegenheit gehabt, ihre
persönlichen Erfahrungen in größere Zusammenhänge einzuordnen. War Unrecht, das
man selbst erlebt hatte, Randerscheinung oder systembedingt? War es andernorts
vielleicht noch unmenschlicher ins Werk gesetzt worden? Nun
konnte man sich ein Bild machen von Abgründen in der jüngsten deutschen
Geschichte. In Berichten über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse wurde die
langfristige Planung von Angriffskriegen deutlich, in KZ- und Ärzteprozessen wurde
fassbar, was Deutsche und Ausländer in Konzentrationslagern hatten
durchleiden müssen. Verantwortungsvolle Redakteure haben weder beschönigt noch
versucht, die Schuld auf andere abzuwälzen.
Vom heiklen Verhältnis zur Besatzungsmacht
1945 war noch keineswegs ausgemacht, was aus der
französischen Zone, zu der Speyer gehörte, werden würde. Frankreich verstand
sich wieder als Großmacht. Doch weder Deutsche noch Franzosen hatten vergessen,
dass sie im Laufe von fünf Jahren beispiellose Katastrophen erlitten hatten;
man sprach von 'débacle' und 'Zusammenbruch'. Dass beide Länder zu einer
dauerhaften Verständigung gefunden haben, lag auch an ihrem Rangverlust. Weitblickende
Franzosen – unter ihnen emigrierte Deutsche wie A. Grosser und J. Rovan –
wollten Fehler der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vermeiden und mit dem 'neuen'
Deutschland zusammenarbeiten, vor allem mit der deutschen Jugend.
Rückblicke
Der 1935 geborene Verfasser durfte den Aufstieg aus
Zerstörung und Not erleben und in einem Staat groß werden, der sich dem Recht
und der Freiheit verpflichtet weiß – auch Andersdenkenden und Schwachen
gegenüber. Dieser privilegierten Generation sind Versuchungen erspart
geblieben, denen viele Angehörige früherer Jahrgänge nicht gewachsen waren.
Gern hat der Autor das Angebot angenommen, an der
'Geschichte der Stadt Speyer' mitzuarbeiten. Das Stadtarchiv verfügte über
umfangreiche Quellenbestände und bot gute Arbeitsbedingungen. Dr. Wolfgang
Eger, Kulturdezernent der Stadt, hatte versichert, es sei keinerlei Zensur
vorgesehen; dass er sich an diese Zusage gehalten hat, sei dankbar vermerkt.
Mit den letzten Zeilen seines Beitrags zu dem 1982
erschienenen Werk* will der Autor schließen: „Den Speyerern, die als Soldaten
an der Front und in Gefangenenlagern, als Zivilisten in der Heimat oder in
Internierungslagern den Tod fanden, Russen, Ukrainern, Franzosen, Holländern,
die im Krieg und nach dem Krieg in Speyer sterben mussten, all denen, die vom
Krieg seelisch oder körperlich verkrüppelt wurden, den überlebenden Angehörigen
der ausländischen und Speyerer Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ist dieser
Abschnitt zur Geschichte der Stadt Speyer gewidmet.“
*Norbert Ohler: Speyer in der Zeit der
nationalsozialistischen Diktatur, zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und am Beginn
des demokratischen Aufbaues (1933-1949). In: Geschichte der Stadt Speyer. Hrg.
von der Stadt Speyer. Stuttgart: Kohlhammer 1982, Bd. II, S. 355-463, hier S.
457.
Montag, 1. Juni 2015
1. Juni 1946: Abschlussbericht
Beim Abschluss dieses kurzem Berichtes waren die
brennendsten Sorgen der Bevölkerung die Besserung der dürftigen Ernährungslage
(besonders in Fleisch, Nährmitteln, Kartoffeln und Fett jeder Art), die wenn
auch langsame Lockerung der Inanspruchnahme von Wohnungen - es sollen über 500 Familienwohnungen beschlagnahmt sein
und über 1500 Einzelzimmer -, die Eindämmung von weiteren Requisitionen von
Haushaltsgegenständen und – die glückliche Lösung der Zonenschwierigkeiten
durch Herstellung der seinerzeit in Potsdam durch die Grossmächte vereinbarten
wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands. Mit ihr erst wäre die
erste Voraussetzung zur Entfaltung deutscher Schaffenskraft wieder gegeben. Es
ist wahrhaftig ein trauriger Zustand, wenn zur Zeit eine Zone der anderen wie
einem fremden Land gegenübersteht und im besten Fall die überschüssige Ware der
einen nur im Wege des Austausches einer anderen Zone, die sie dringend benötigt,
Zugute kommen kann. So wenn die Pfalz ihren Wein den Pfälzern vorenthalten und -
soweit ihn nicht die Besatzung für sich und für zuhause in Anspruch nimmt, nach
rechtsrheinisch verhandeln muss, vorausgesetzt, dass die für das Einzelgeschäft
erforderliche Genehmigung der Ausfuhr von der Militärregierung erteilt und die
Blockierung der betreffenden Warenmenge aufgehoben wird. Sowie dass der
pfälzische Tabak in ähnlicher Weise zur Verwendung kommt. Auch er ist, wie die
Blockierung jeder Art einschliesslich Krägen und Hüte, das Geschirr und die
Möbel, auch der sonstige Hausrat, Mangelware geworden. Es dauerte geraume Zeit,
bis sog. Raucherkarten zur Einführung und noch länger zur Belieferung kamen.
Die danach zustehenden Mengen waren und sind für Raucher unzureichend, zumal
sie nicht immer geliefert werden. Wer es irgendwie machen konnte, wurde deshalb
Kleintabakanbauer, um sich selbst etwas Tabak zu erzeugen und von einem der
zahlreichen Tabakarbeiter hier verarbeiten zu lassen. Fast noch schlimmer wie
bei all den anderen Fehlwaren ging es mit den Schuhen Schuhschmieren und
Schuhwichs. Neue waren auch mit Bezugschein nicht erhältlich, die Ersatzware
kurzlebig und Reparaturen, weil es den Handwerkern, weil es den Handwerkern an
Leder u.s.f. mangelte, nur unzureichend und in langer Frist zu erreichen. Zumal
sich auch hier Anzeichen dafür bemerkbar machten, dass hier „Tauschhandel“ wie
nach nach obigen grossen, so hier im kleinem einbürgert – dem Beispiel folgend,
das bei Einkäufen auf dem Land besonders stark geboten ist. - Wehe also dem,
der nichts zu tauschen hat, und das sind doch die mehreren. Und noch eine
Sorge, die für die Stadtverwaltung recht lästig ist: die Särge gingen aus und
es mangelte an Holz für die Neuanfertigungen. So muss z.B. bei der grossen
Sterblichkeit auswärtige Hilfe in Fertigware oder in Holz in Anspruch genommen
werden.
Stadtarchiv Speyer, Fotosammlung 233-1, Nr. 008616. |
Sonntag, 31. Mai 2015
31. Mai 1946: "Reparationsvorleistungen, Beutegut und Razzia"
Ende Mai begannen die Franzosen in grossem Ausmass Maschinen in den Fabriken abzumontieren und nach Frankreich abzufahren, als Reparationsvorleistungen oder Beutegut. In den Vormittagstunden des 31. Mai waren alle Zugänge zur Stadt (wie auch in anderen Städten) von Militärpolizei gesperrt. Es war Razzia auf "geheime und bezahlte Agenten des Nazi-Geheimdienstes", von denen mehrere festgenommen worden sein sollen.
In Speyer tagte so alle 14 Tage ein unteres Militärgericht im Sitzungssaal des Amtsgerichts. - Die im Wald haufenweise herumliegende deutsche Munition wurde erst allmählich abgefahren und gesprengt. Die ganze Zeit über passierten immer wieder schwere Unfälle. Es liegen noch zahlreiche Stapel im Walde herum, auch Autowracks.
Stadtarchiv Speyer, Fotosammlung 233-1. |
In Speyer tagte so alle 14 Tage ein unteres Militärgericht im Sitzungssaal des Amtsgerichts. - Die im Wald haufenweise herumliegende deutsche Munition wurde erst allmählich abgefahren und gesprengt. Die ganze Zeit über passierten immer wieder schwere Unfälle. Es liegen noch zahlreiche Stapel im Walde herum, auch Autowracks.
Stadtarchiv Speyer, Fotosammlung 233-1, Nr. 034255. |
Montag, 25. Mai 2015
26. Mai 1946: Beginn der Frühjahrsmesse
Die an sich bescheidene Frühjahrsmesse, die vom 26. Mai bis 2. Juni stattfand, war ebenfalls grossenteils verregnet. Doch die Kinder hatten ihre Freude. Mitte Mai begannen auch Serenadenabende im Museumhof, die vom Symphonischen Orchester Speyer durchgeführt wurden, aber anfänglich meist wegen ungünstiger Witterung verschoben werden mussten. Die Veranstaltungshausse wurde übrigens abgestoppt und flaute merklich ab.
Stadtarchiv Speyer, Fotosammlung 233-1, Nr. 013125. |
Sonntag, 17. Mai 2015
17. Mai 1946: Verwahrung von Akten
Abonnieren
Posts (Atom)