Monatsbericht der LVA
Hessen-Pfalz
Die
Landesversicherungsanstalt Hessen-Pfalz 1945
Zusammenbruch – Chaos – Neubeginn. Galten diese Schlagworte
auch für die Landesversicherungsanstalt Hessen-Pfalz, wie die
Rentenversicherung seit Herbst 1945 hieß? Ja, aber nicht mehr im Oktober 1945.
In der alten Landesversicherungsanstalt Westmark war zwischen März und Juni der
Dienstbetrieb vollständig zusammengebrochen, aber bereits am 18. Juni wurde die
Arbeit auf Befehl der französischen Militärregierung wieder aufgenommen. Es war
ein mühseliges Arbeiten unter sehr schweren Bedingungen: Die Militärverwaltung
hatte den Hauptsitz der LVA, das repräsentative Stadthaus direkt am Dom,
beschlagnahmt. Ein déjà-vu-Erlebnis für die Speyerer, denn schon in der
Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg hatte hier die französische
Militärkommandantur gesessen. So stand den mehr als dreihundert
Verwaltungsangestellten nur das rückwärtige Gebäude an der Himmelsgasse zur
Verfügung. In den engen Räumlichkeiten drängten sich die Beamten und
Angestellten, manche mussten auf den Fluren ihrer Arbeit nachgehen. Es fehlte
an allem: Schreibmaterialien, Brennholz, aber natürlich auch an den benötigten
Dokumenten. Und es gab kaum noch erfahrene Mitarbeiter, viele waren gefallen,
manche geflohen oder in Kriegsgefangenschaft geraten.
In dieser Situation waren nicht nur die bisherigen Aufgaben
zu bewältigen, die Nachkriegszeit brachte der Landesversicherungsanstalt auch
noch eine Reihe zusätzlicher Verpflichtungen. So mussten sich die Mitarbeiter
auch um die Gemeindeunfallversicherungen und die Kriegsentschädigtenversorgung
kümmern.
Stadtarchiv Speyer, Best. 91, Nr. 1. |
Monatsbericht für
Oktober 1945
Im August hatte der französische Militärkommandeur de
Lamezan die Geschäftsführer des Arbeitsamtes, der Landwirtschaftlichen
Sozialversicherung und der Landesversicherungsanstalt Pfalz-Hessen zur
Erstellung monatlicher Tätigkeitsberichte verpflichtet. Sie wurden zunächst auf
Deutsch verfasst, dann ins Französische übersetzt und in beiden Ausgaben an den
Bürgermeister geliefert, der sie dann dem Militärkommandanten übergab.
Betrachten wir zunächst das Dokument selbst. Es ist vollständig
maschinenschriftlich verfasst, es gab also keinen passenden Vordruck oder es
stand keiner zur Verfügung. Der Bericht steht auf dünnem, leicht reißbarem
Durchlagspapier. Keineswegs ideal, um darauf wichtige Dokumente abzufassen. Bis
weit in die Fünfziger Jahre hinein findet dieses Material für Berichte und
Briefe der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz Verwendung.
Nun zum Inhaltlichen. Zunächst stoßen wir wieder auf einen
Aspekt der chaotischen Nach-kriegszeit, denn unter Punkt eins finden wir statt
genauer Daten nur eine Entschuldigung. Die Gesamtzahl der
Invalidenrentenpflichtigen Personen – heute würden wir von
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sprechen - kann mangels Daten der
Krankenkassen nicht angegeben werden. Es fehlen also Akten. Die weiteren
Angaben beziehen sich auf die in diesem Monat gezahlten Renten und die
Beitragseinnahmen. Es fällt aber auf, dass nur Invaliden-, Witwen- und
Waisenrenten, aber keine Altersrenten aufgeführt sind. Über die genauen Gründe
kann nur spekuliert werden, aber die Gruppe der Altersrentner ist wegen des
hohen Renteneintrittsalters bereits in der Vorkriegszeit sehr klein gewesen. So
gab es 1937 in der ganzen Pfalz nur 130 Altersrentner, denen fast 30.000
Invalidenrentenbezieher gegenüberstanden.
Im Oktober 1945 ist demgegenüber die Zahl der
Invalidenrentner wie auch der Witwenrentenempfängerinnen leicht gestiegen.
Interessant ist auch die räumliche Gliederung der statistischen Angaben in
Hessen-Pfalz und Saargebiet. Bis zu ihrer Auflösung im August 1945 war die LVA
Westmark für die Pfalz, das Saarland und während des Krieges auch für
Lothringen zuständig gewesen. Daher also dieser vermeintliche Blick über den
Tellerrand. Außerdem fallen im Vergleich zu den letzten Vorkriegsdaten von 1937
die Beitragseinnahmen sehr viel höher aus, ein Hinweis auf die Inflation der
Nachkriegszeit.
Was sagt der Bericht noch aus? Das Offensichtliche: es
werden wieder Renten ausgezahlt und Rentenanträge bearbeitet, in den
Folgejahren wird auch der Rückstand aus Sommermonaten des Jahres aufgearbeitet
werden. Auch in der Rentenversicherung sind im Oktober 1945 die Zeiten des
Zusammenbruchs vorbei, eine neue Zeit beginnt.
Schlussbemerkung
Die im Beitrag vorkommenden, wechselnden Namen der
Landesversicherungsanstalt sind im Übrigen kein Fehler oder eine Marotte des
Autors, sondern entsprechen den Umbenennungen im Verlauf des Jahres 1945. Sie
zeigen einerseits die Instabilität der Verhältnisse, andererseits auch die
allmähliche Neuausrichtung des Staats- und Verwaltungsapparates auf
demokratische Organisationsformen und Verfahrensweisen.
Björn Kroker, Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz
Quellen- und
Literaturangaben
- Stadtarchiv Speyer, Best. 91, Nr. 1: Besatzungsarmee. Monatsberichte. Hier verwendet: Geschäftsführender Leiter der Landesversicherungsanstalt Hessen-Pfalz, Monatsbericht. Zur Anordnung vom 8.8.1945 Nr. 2654 vom 27. Oktober 1945
- Pressestelle der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Chronik der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz. 1890–1987, Speyer 1987, S. 55-62
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen